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Schweizer Fachzeitschrift
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Ralf Turtschi Die Bauhausära räumte in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts radikal mit Schnörkeln und Verzierungen auf, die bis anhin Architektur, Design und Typografie (Art déco, Jugendstil) durchdrangen. Walter Gropius begründete die Ära 1919 mit seiner Kunstschule in Weimar (später Dessau). Ziel war, Design generell funktional und einfach zu halten, Sachlichkeit hatte Oberhand, industrielle Herstellungsprozesse sollten vereinfacht werden. Die radikal vereinfachte Formensprache dieser Zeit nahm Einfluss auf die bildenden Künste, die Architektur, die Typografie (die später Elementare Typografie genannt werden sollte) oder das Grafik­design.

In allen Zeiten gab es immer Versuche, neue Formprinzipien oder gar Buchstabenformen (grosses Esszett) beim Alphabet zu etablieren – dies seit der Erfindung des Alphabets durch die Phönizier. Und immer war Schriftdesign an technische Prozesse gebunden. Schriften wurden in Tontäfelchen geritzt, in Stein geschlagen, auf Pergament geschrieben oder mit Bleilettern gedruckt. Bleisatz war die führende Technologie, noch bis in die 70er-Jahre.

Um 1920 herum war die normale Buch- oder Zeitungsschrift eine gebro­chene Schrift, Antiquaschriften wurden als Anzeigenschriften oder im Titelsatz versetzt. Die ersten serifenlosen Fonts kamen um 1900 «auf die Welt», die Akzidenz Grotesk gilt als Mutter aller Groteskschriften. Wie der Name sagt, wurden diese aus damaliger Sicht als grotesk angesehen.

Am Bauhaus versuchten Schmidt, Tschichold und Albers, Schrift aus den Grundformen Kreis, Dreieck und Qua­drat geometrisch hergeleitet zu konstruieren. Sie glaubten, Buchstaben liessen sich systematisch zusammensetzen wie die Teile eines Hauses.

In diesem Aufsatz geht es um solche serifenlose Schriften, die fast kreisrunde Buchstaben wie O, o, G, e zeigen. Bei vielen dieser Schriften ist das a ebenfalls kreisrund und ohne Hängebäuchlein gezeichnet (). Ähnliche Designmerkmale weisen Schriften auf, die nach Schriftklassifikation zur Gruppe der serifenbetonten Linearantiqua gehören. Von geometrischen Schriften spreche ich dann, wenn das Prinzip «Lineal und Zirkel» vorherrscht und die Strichstärke wenig Kontrast aufweist. Selbstverständlich existieren heute Mischformen, die sowohl geometrisch konstruierte als auch kalligrafische Merkmale aufweisen.

Optische Gesetzmässigkeiten

Schriften mit Zirkel und Lineal zu konstruieren, ist aus heutiger Sicht falsch. Es gibt verschiedene optische Gesetzmäs­sigkeiten, die zwingend berücksichtigt werden müssen. So wirkt jeder horizontale Strich dicker als ein gleich starker senkrechter. Bei einer Kreisform müssen die Strichstärken ebenfalls angepasst werden, untenund oben sind sie dünner als seitlich. Wo Striche aufeinandertreffen, bei A, e, w oder x, gibt es immer optische Verdickungen, die durch eine entsprechende Verdünnung an der Kreuzungsstelle kompensiert werden. Vor allem bei fetten Schriftschnitten ist eine solche Einkerbung ein Muss. Runde Formen wie e, o, 3, 8, &, q, O, G erscheinen bei gleicher Höhe immer kleiner als eckige Formen. So müssen alle Rundungen etwas über die eckige Grundform hinaus gestaltet werden. Das gleiche Phänomen tritt auch bei spitzen Formen auf: v, w, z, 4. Solche Buchstabenspitzen sind über die Normalgrösse hinaus zu gestalten.

Futura

Die ersten Versuche am Bauhaus waren nicht von Erfolg gekrönt. Wenig später entwickelte Paul Renner diese Formen weiter und lancierte in einer etwas weniger radikalen Form die Futura, die 1927 erschien und eine der erfolgreichsten Schriften überhaupt werden sollte. Renner wendete sich dabei vom Geometriedogmatismus des Bauhauses ab, zeichnete die runden Formen von o, a oder e nicht mehr ganz kreisrund und machte auch anderweitige Kompromisse.

Die Futura ist sozusagen eine humanistisch eingeweichte, geometrisch konstruierte Schrift mit extrem hohen Oberlängen. Trotzdem ist sie keine Leseschrift, eher für Plakatives oder für Kurztexte im Marketingbereich geeignet. Ihre Brillanz spielt die Futura in Versalien aus, es gibt keine vergleichbare Typografie wie Futura Bold in Grossbuchstaben. Noch heute bedienen sich namhafte Unternehmen der Futura: Volkswagen oder Kantonalbank benützen sie als Hausschrift.

Ein grosser «Fehler» der Futura liegt darin, dass die Zeichen nicht genügend Abstand aufweisen, die Laufweite ist zu eng, sodass die Buchstaben optisch zusammenlaufen. Eine normale Leseschrift, beispielsweise Futura Regular, 9 Punkt, sollte in InDesign mit etwa 15 Einheiten spationiert werden, damit sie leserlich bleibt. Die Futura wird zudem leichtfertig im Schnitt Light gesetzt, der unter 12 Punkt oder auf dem Bildschirm einfach zu spitz wirkt. Als Grundschrift sollte die Book oder die Regular verwendet werden.

Kabel

Zeitgleich mit der Futura erschien die Kabel von Rudolf Koch, die noch immer den radikalen Ansätzen folgte, was sich vor allem bei b, g oder auch 2 manifestiert.

Bei der Kabel wird deutlich, dass kreisrunde Formen mit schmalen Formen disharmonieren und die Leserlichkeit dadurch deutlich erschwert wird. Diese Eigenarten machen sie gleichzeitig charakterstark, aber auch geschmäcklerisch. Die Kabel ist keine Schrift, die leicht Mehrheiten findet.

Die Bauhauszeit muss man als Aufbruch verstehen, neue Buchstabenformen zu entwickeln, welche die serifenlosen Schriften nachhaltig prägen sollten. Weitere Entwürfe der «geometrischen Zeit» waren die Rund-Grotesk oder die Ehrbar-Grotesk.

Gill

Die Leserlichkeit einer Schrift setzt voraus, dass ihre Zeichen unterscheidbar sind. Dies wird durch die Zeichen an sich, aber auch durch genügend grosse Zwischenräume erreicht. Eric Gill brachte die Gill Sans 1928 auf den Markt. Sie ist um einiges kontrastreicher als die Futura, wendet sich damit noch mehr von der «Geometrie» ab. Das a enthält ein Bäuchlein und eine neckische Ausnahmeserife, t und s sind ganz markant geschnitten. Weiter ist das b ohne Serifenansatz gezeichnet, dieses Merkmal wurde ja erst in den Nullerjahren vor allem von den Holländern aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Bei jeder konstruierten Schrift entsteht durch die vereinfachende Formgebung zwischen I, l und 1 eine gewisse Verwechslungsgefahr, was bei der Gill besonders zu vermerken ist. Ich habe meine liebe Mühe mit der Ziffer 1, die fast nicht von I und l zu unterscheiden ist.

Die Gill verfügt über weitere Merkmale, die sie charakterstark und unverwechselbar machen. Zum einen ist es der senkrechte Schnitt bei den Enden von s oder e. Allerdings erhält das s durch den diagonalen Zug einen «Rückwärtsdrall», es scheint sich leicht nach hinten zu neigen. Zum anderen ist es das t mit dem schrägen Dach und das besonders gezeichnete g. Die Gill ist kreativ und ideenreich, sie verbindet den Bauhausdogmatismus mit humanistischer Tradition.

In Tabellen oder Telefonnummern ist die 1 als einfacher senkrechter Strich optisch unvorteilhaft, da gibt es heute weit Besseres. Auch die relativ schmal laufende Italic will mir nicht so richtig ans Herz wachsen.

Avant Garde Gothic

Eine andere weitverbreitete geometrische Schrift, die in den 60er-Jahren von Herb Lubalin entworfen und später durch andere erweitert wurde, heisst Avant Garde Gothic. 1970 kam sie als ITC Avant Garde Gothic auf den Markt, es existieren bei unterschiedlichen Anbietern einige Derivate. Nach meiner persönlichen Auffassung ist die Avant Garde Gothic missglückt. Die runden Grossbuchstaben G, O oder Q sind viel zu dominant und kontrastieren krass mit dem schmalbrüstigen s oder dem t. Die Schrift wirkt auf mich wie eine optische Ziehharmonika. Im Vergleich (Abb. oben) mit dem Wort «Gestik» kann doch niemand allen Ernstes behaupten, die ITC Avant Garde Gothic sei schön?

Avenir

1988 lancierte Adrian Frutiger die bis anhin schönste (meine persönliche Meinung) geometrisch konstruierte Schrift. Wobei dieses Attribut wohl kaum zutreffend ist, bei Frutigers Auge und Fähigkeiten. Ich sehe die Avenir als Gegenentwurf zur so erfolgreichen Futura. Hervorragend leserlich verkörpert sie Frutiger-Qualität. Seit die Avenir auf dem Markt ist, rühre ich die Futura nur noch auf Geheiss an. Gegenüber den alten «Geometrischen» Futura, Gill und Avant Garde gibt Frutiger seiner Avenir genügend Buchstabenzwischenraum auf den Weg, allein dies macht sie um Meilen besser leserlich, vor allem auf dem Bildschirm.

Mark

Eigentlich schien das Feld der «Geometrischen» beackert und es gilt als schwierig, eine geometrisch inspirierte Schrift mit guter Leserlichkeit auszustatten. Entsprechend dünn ist das Angebot. Dachte ich.

Bis ich dann auf die FF Mark aufmerksam wurde, die 2013 von Hannes von Döhren und Christoph Koeberlin bei Fontshop geschaffen wurde. Diese Schrift scheint sich etwas konsequenter der Form zuzuwenden, diesmal aber mit modernen Stilmitteln und einer angenehmen Laufweite. Mit der Futura hat sie die hohen Oberlängen oder das abstrichlose u gemeinsam, von der Avenir nimmt sie Anleihen von e und t. Die FF Mark ist der neue Platzhirsch unter den Geometrischen – man darf diesen Font vorbehaltlos empfehlen. Die FF Mark wird als Corporate-Design-Schrift vom Onlinehändler Galaxus verwendet und – bemerkenswert – vom Opernhaus Zürich. Sie gibts in 40 Schnitten von Hairline bis Heavy, gerade stehend und als Italic.

Wer weitere Schriften sucht, die nach 2000 entwickelt wurden: URW Geometric, Neutra Text, Neutraface, FF Bauer Grotesk, Moskau Grotesk, Azo Sans. Sie können der FF Mark aber nicht ganz das Wasser reichen.

Der Autor

Ralf Turtschi ist gelernter Schriftsetzer, Buchautor und Publizist. Er ist Inhaber von Agenturtschi und als engagierter Fotograf unterwegs. Der Autor schreibt im Pub­lisher seit Jahren praxisbezogene Beiträge zu Themen rund um Typografie und Gestaltung. Mail: turtschi@agenturtschi.ch